Wahrnehmung [Auszug aus Kapitel 1]
Die Wahrnehmung ist sowohl in den Natur- als auch in den Geisteswissenschaften eingehend erforscht worden. Sie beschreibt in erster Linie einen Informationsprozess zwischen dem Inneren und dem Äußeren eines Lebewesens. Wahrnehmung stellt zudem eines der wichtigsten Werkzeuge dar, mit denen Künstler arbeiten.
Unabhängig davon, ob sie sich der Sprache des Hyperrealismus, des abstrakten Expressionismus, der Sprache politischer, sozialer oder einfach schöner Bilder bedient, Kunst ist das sinnliche Fenster der Wahrnehmung, durch das die Mechanismen und Wechselwirkungen von Natur und Gesellschaft zu sichtbarem Wissen werden. Der britische Maler John Constable postulierte bereits 1816: ›Malerei ist eine Wissenschaft und sollte wie die Erforschung der Naturgesetze betrieben werden.‹
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Eines der frühesten Konzepte in der Geschichte der visuellen Wahrnehmung ist die Vorstellung des Sehens mit Eidolons, kleinen Kopien realer Objekte, die aus unteilbaren Partikeln, sogenannten Atomos, bestehen und in die Augen fliegen. Der vorsokratische Philosoph Demokrit (ca. 460–371 v. Chr.) war von dieser Idee überzeugt, da er die Reflexion solcher Objekte auf der Oberfläche der Hornhaut beobachtet hatte. Er vertrat zudem die Auffassung, dass es zwei Arten der Erkenntnis gibt, eine durch die Sinne und eine durch den Verstand. Platon hingegen vertrat die Auffassung, dass die Erkenntnis durch den Verstand alleine möglich ist. Er ging davon aus, dass die Augen wie ein Scanner einen Strahl auf die Objekte der Wirklichkeit werfen. Aristoteles hingegen nahm an, dass nur glänzende Objekte wie Feuer oder die Sonne Licht erzeugen, das von den Objekten reflektiert wird und dessen Reflexionen die Augen erreichen.